Mittwoch, 30. September 2009

Warum der Journalist von Le Monde Mustapha Kessous seinen Vornamen verschweigt - Erfahrungen mit dem alltäglichen Rassismus

Lang hat er stillgehalten und die alltäglichen kleine Demütigungen ertragen, die Blicke, die verletzenden Bemerkungen und die offenen rassistischen Angriffe. Doch als der französische Einwanderungsminister kürzlich einem Parteifreund mit magrebinischen Wurzeln angeblich scherzhaft erklärte, einer von denen gehe ja noch, nur in Massen dürfen sie nicht auftreten, da war bei Mustapha Kessous das Maß des Erträglichen überschritten. Der Redakteur schrieb sich in einem langen persönlichen Bericht all die Verletzungen und Ungerechtigkeiten der vergangenen Jahre von der Seele und löste damit eine heftige Debatte aus.
Auch Mustapha Kessous musste einen der angeblichen Scherze des Ministers ertragen. "Haben Sie ihre Papier dabei", fragte der lächelnd bei einem Interviewtermin - natürlich ein gelungener Scherz.
Schon in der Schule, in einer katholischen Einrichtung in einem guten Viertel von Lyon, bekam der Sohn einer algerischen Mutter zu hören, er solle in sein Land zurückkehren, auch von Lehrern. In der Journalistenschule fragten ihn die Mitglieder der Prüfungskommission, ob er Muslim sei und ob er denn bei der Zeitung Le Monde sei, weil die "einen Araber gebraucht hätten".
Eigentlich dachte Mustapha, mit einer Stelle bei der großen Tageszeitung und einem Presseausweis seien die Probleme vorüber. Doch nach wie vor erlebt er, dass die Vorurteile schwerer wiegen. So wurde er bei der Recherche zu einem Kriminalfall selber als Verdächtiger festgenommen. Gelegentlich bekommt er zu hören, man spreche nicht "mit Arabern". Bei der Tour de France wurde sein Kollege gefragt, ob Mustapha der Chauffeur sei. Selbst die Zeitung Le Monde wurde nach der Einstellung des Redakteurs angegriffen, sie beschäftige "Fixer", der durch die Banlieues führe. Meist meldet sich der Redakteur einfach nur mit seinem unverdächtig klingendem Nachnamen, um nicht wieder auf diese unangenehmen Reaktionen zu stoßen.
Fast noch schmerzhafter sind die Erfahrungen ohne den Presseausweis im Privatleben. Wohnungen für die er sich interessiert, sind plötzlich nicht mehr frei. Ein angesagter Club, in den er seine Schwester zu ihrem 40. Geburtstag einladen wollte, wies ihn ab. Doch die größte Demütigung sind plötzliche Ausweiskontrontrollen aus heiterem Himmel. Selbst mit seiner 60-Jährigen Mutter musste er sich nach Waffen abtasten lassen. Er hat eigentlich nur einen Wunsch, als ganz normaler Franzose angenommen zu werden, trotz seiner Hautfarbe, trotz seines Vornamens. Dass der Fall kein Einzelfall ist, zeigt die Flut von Zuschriften, die heute auf einer ganzen Seite erschienen sind. Trotz der Antidiskriminierungsgesetze muss die Einwanderungsgesellschaft, übrigens auch in Deutschland, noch viel hinzulernen.




Erfahrungen mit dem alltäglichen Rassismus

Dienstag, 29. September 2009

Surfen in französischen Zeitungen wird kostspielig


Die Leser werden immer weniger, die Werbung geht zurück und die Gratiszeitungen haben den Wettbewerb verschärft. Die französischen Medien, insbesondere die Tageszeitungen stecken schon seit Jahren in der Krise. In einer Studie des Kulturministeriums ist von einer "unverändert prekären Lage" die Rede.
Deshalb wollen die Blätter nun die Internauten zur Kasse bitten. Mehrere Zeitungen haben Bezahlmodelle eingeführt oder haben das noch vor. So erscheint in Libération neuerdings bei vielen Artikeln ein kleines Schloss mit dem Verweis, dass die Information den "Premiumabonnenten" vorbehalten ist. Der Chefredakteur kündigt an, dass es nach wie vor einen kostenlosen Bereich geben wird, allerdings werden dort erst 18 Uhr die Artikel des Tages freigeschaltet. Die bezahlende Kundschaft (Kosten sechs Euro im Monat) kann schon früher lesen, Premiumkunden, die zwölf Euro berappen müssen, sogar schon am Vortag.  Ob die Internetgemeinde das toleriert oder zu anderen Medien abwandert, muss sich zeigen.
Lange Zeit bat nur Les Échos zur Kasse, doch sind die Nutzer börsenrelevanter Wirtschaftsinformationen eine andere Zielgruppe, für die der Informationsvorsprung bares Geld wert ist und die daher bereit sind, zu bezahlen. Auch Le Monde führte bereits 2002 eine Mischung aus bezahlten und kostenlosen Inhalten ein. Allerdings betrifft das nur einen kleinen Teil der Artikel.
Noch ist der Figaro kostenlos zu besurfen, allerdings soll sich das im kommenden Jahr ändern. Ab Januar wollen die Verlagsherren für "Informationen mit Mehrwert, Serviceseiten und Mitmachangebote" Geld sehen, der Rest bleibt gratis. Auch die Zeitschrift Express steht in den Startlöchern. Exklusive Neuigkeiten sollen künftig kosten, außerdem bekommt der Abonnent die Zeitschrift zwei Tage vor dem Erscheinen per Email. In der Vergangenheit gab es schon viele Experimente mit Bezahlmodellen. Die meisten scheiterten jedoch, da sich den Lesern ausreichend kostenlose Alternativen anboten. Außerdem sind die Surfer nun seit Jahren daran gewöhnt, kostenlos zu lesen. Der Ausgang des Experiments ist also offen.
Studie über die Lage der Presse

Montag, 28. September 2009

Der französische Blick auf das deutsche Wahlergebnis


Die Bundestagswahlen in Deutschland sind auf der "Une", also der ersten Seite, der meisten französischen Tageszeitungen und in den Internetangeboten. Von einem "getrübten Sieg" für Angela Merkel schreibt lemonde.fr und analysiert die neue politische Gemengelage. Angesichts der erstarkten FDP und der Opposition dreier linker Parteien sei die Kanzlerin nicht in einer Position der Stärke und ob sie nach ihrem Linksruck zur radikalen Liberalen werde, sei fraglich. Die SPD muss sich neu erfinden, empfiehlt Frankreichs größte Tageszeitung in einem weiteren Artikel den Wahlverlierern.
Le Figaro widmet sich den Gewinnern "Die deutschen Liberalen sind im Aufwind" heißt es. Paradoxerweise habe ausgerechnet in der Wirtschaftskrise eine liberale Partei gewonnen, die allerdings die soziale Marktwirtschaft verteidige. Während die Regierung Milliarden für Banken oder Autohersteller bereitgestellt habe, habe die FDP mit ihrem Einsatz für die Mittelständler gepunktet. Auch das Versprechen von Steuererleichterungen für die Mittelschicht dürfe eine Rolle gespielt haben. Dem Paradox des liberalen Sieges mitten in der Wirtschaftskrise widmet sich auch Kommentator Laurent Joffrin in Libération. Eine Ursache sei die Anpassung der SPD, die durch die Große Koalition links neben sich viel Spielraum im politischen Lager gelassen habe. Dort konnte die Linkspartei erstarken. Um jedoch den Liberalismus zu besiegen, müssen die linken Parteien einig und glaubwürdig seien. Doch ein Dialog kam nicht zustande, stattdessen streiten die linken Formationen. Dies sei diesseits und jenseits des Rheins zu beobachten.
Die Dauphine liberé widmet sich den Parralelen und Unterschieden in Deutschland und Frankreich. Hier wie dort sei eine handlungsfähige konservative Partei an der Macht und eine Linke, die zerrissen ist. Allerdings bleibe Angela Merkel das Gegenteil von Nicolas Sarkozy. Dem Bling Bling ihres französischen Kollegen steht ihre protestantische Strenge gegenüber und seinem ungebremsten Durchsetzungswillen ihre zurückhaltende Art. Die Frage sei, ob sie in ihrer zweiten Kanzlerschaft so fortfahre oder man einen Rechtsschwenk erwarten müsse.

Interview mit Deutschland-Kenner Alfred Grosser
Deutschland-Dossier von Le Temps, Genève


Nicolas Sarkozy gratulierte gestern der "très chère Angela", die er kürzlich in Pittsburg traf Foto: Regierungonline/Bergmann

Samstag, 26. September 2009

Fred Vargas - Filmreihe im ZDF

Wenn er bei seinen Fällen nicht weiterkommt, geht Kommissar Adamsberg an die Seine, sieht den Möwen nach und lässt seine Gedanken fließen. Seiner Intuition entkommt am Ende keiner der Mörder, die aus Liebe oder Rache ihren Nächsten ins Jenseits befördern. Der von den Lesern in Frankreich und Deutschland geliebte philosophierende Kriminalist, den die französische Kriminalschriftstellerin Fred Vargas erschaffen hat, ermittelt an den kommenden drei Sonntagen jeweils um 22.15 im ZDF. Jean-Huges Anglade verköpert den Kommissar, Charlotte Rampling spielt eine wichtige Nebenrolle.
An diese Sonntag wird die Verfilmung von "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord" gezeigt. Der Kommissar ahnt Schlimmes, als über Nacht blaue Kreisekreise auf den Bürgersteigen gezeichnet wurden. Darin steht die mysteriöse Warnung "Victor sieh Dich vor, was treibst Du jetzt noch vor dem Tor?", ein Ohrring, ein Vogelbein und eine tote Katze liegen in den Kreisen und...eines Morgens die erste Leiche.
Am 4. und 11. Oktober zeigt das ZDF die Verfilmung "Der 14. Stein" in zwei Teilen. Am 12. Oktober steht noch eine andere Produktion des Fred Vargas Romans "Fliehe weit und schnell" auf dem Fernsehprogramm.

Freitag, 25. September 2009

Das Geheimnis der kleinen Riesin

Die charmanteste Figur der französischen Compagnie Royal de Luxe, die kleine Riesin, erblickte 2005 das Licht der Welt. Riesinnen sind schon mit einem Jahr ausgewachsen und so hatte sie 2006 ihren ersten Auftritt in London in dem Stück "Der Besuch des indischen Sultans auf seinem Zeitreiseelephanten". Die Londoner erlagen ihrem Augenzwinkern und im Jahr darauf bekam sie gleich zwei Engagements. In Chile trat sie mit einem Rhinozeros auf. In Island jubelte ihr das Publikum 2007 beim Stück der Geysir von Reykjavik zu. 2009 spielte sie in einem Stück in ihrer Heimatstadt mit dem Tiefseetaucher mit, bevor sie nach Berlin kam.
Dort ist sie in einem Hangar des Flughafens Tempelhof untergebracht und übt im Moment mit ihren Liliputanern das Laufen. Ganz allein geht das nicht, wenn man 7,5 Meter misst und 13,5 Tonnen auf die Wage bringt. Ihr Körper besteht übrigens aus 500 Kilogramm Stahl, Hände und Kopf aus 300 Kilogramm Pappel- und Lindenholz. Die Haare stellte ein Perückenmeister aus 50 Pferdeschweifen her. Ihre Augen waren einmal die Glaskörper von Straßenlaternen, die Wimpern Besenhaare. Ihr Verwandter, der große Riese, fiel bereits 1993 vom Himmel (im gleichnamigen Stück).
In Berlin wird die kleine Riesin am 2. Oktober vom Bürgermeister empfangen und braust dann mit ihrem Boot durch die Stadt. Dabei hat sie einen Sack geheimnisvoller Briefe, die sie unbedingt an die Empfänger übergeben will. Es sind die Kopien von Schreiben, die einst die Stasi abgefangen hatte.
Foto: Royal de luxe
Kleine Riesin in London

Donnerstag, 24. September 2009

Valérie Giscard d´Estaing und die Prinzessin - alles nur geträumt?


Die Widmung des neuen Buches von Valérie Giscard d´Estaing gibt Rätsel auf. "Versprechen erfüllt", heißt es rätselhaft. Noch rätselhafter werden die Worte wegen der Handlung seines neuen Romans "La princesse et le président". Die Hauptpersonen sind ein verwitweter Präsident und "Patricia, die Princessin von Cardiff, einer Stadt in Wales" und sie erleben eine leidenschaftliche Liebe. "Ich werde Ihnen berichten, was mir geschah...Etwa zehn Tage vor meiner Hochzeit sagte mir mein Mann, dass er eine Geliebte hat und dass er vorhabe, die Beziehung mit ihr nach unserer Hochzeit fortzusetzen", klagt Patricia im Roman ihrem Präsidenten, der sie fortan im prächtigen Dekor des Kensington-Palastes oder des Schlosses Rambouillet zärtlich tröstet. Sehr realistisch sind die Intérieurs der verschiedenen Paläste beschrieben, das nährte in den französischen Medien Spekulationen über einen möglichen Wahrheitsgehalt. Für dem ehemaligen Präsidenten, dessen letztes Buch eher unbemerkt unterging, ist kaum eine bessere Werbung vorstellbar.
In der heutigen Ausgabe von Le Point gesteht er allerdings: "Ich habe die Fakten erfunden, die Orte und die Einrichtung jedoch nicht". Er habe die Prinzessin allerdings gekannt und mit ihr geplaudert, auch über Liebebeziehungen zwischen Politikern der Großmächte. Sie habe ihn gefragt: "Warum schreiben sie nicht ein Buch darüber".

Das Buch "La princesse et le président" erscheint am 1. Oktober im Verlag Éditions de Fallois-XO.

Mittwoch, 23. September 2009

Clearstream-Affäre: Ein Blick hinter die Kulissen der Macht

Sie waren erbitterte Konkurrenten um das höchste Amt im Staate. Nun treffen sich die beiden Parteifreunde Dominique de Villepin und Nicolas Sarkozy vor Gericht. Am Montag begann die juristische Aufarbeitung der Clearstream-Affäre um eine gefälschte Liste von Konten, auf denen angeblich Bestechungsgelder aus dem Verkauf französischer Fregatten nach Taiwan eingegangen sind. Neben vier anderen Beschuldigten, saß auch der ehemalige Premierminister de Villepin wegen mutmaßlicher Beihilfe auf der Anklagebank. Der Präsident Nicolas Sarkozy lässt sich anwaltlich als Nebenkläger vertreten.
Es geht um Vorgänge aus dem Jahr 2004, als die beiden Politiker noch erbitterte Rivalen mit Ambition auf die Nachfolge von Jacques Chirac waren. Damals erhielt ein Pariser Untersuchungsrichter anonym mehrere Listen von der Clearstream-Bank in Luxemburg mit Schwarzgeldkonten. Neben weiteren Prominenten fand sich auch der Name Nagy de Bosca, der vollständige Familienname Sarkozys darauf. Doch bald wurde klar, dass die echten Listen ergänzt worden waren. De Villepin soll laut der Anklage schon lange von den Fälschungen gewusst haben, die Information jedoch zurück gehalten haben. Auch wer der Drahtzieher der Intrige war, liegt noch im Dunkeln.

Das Gericht ist nun dabei, die verschlungenen Pfade der Dokumente aufzuspüren. Florian Bourges, ein Praktikant, der frisch von der Uni kam, hatte die Affäre einst ins Rollen gebracht. Er war von einer Unternehmensberatung zu Clearstream entsandt wurden und stieß auf auffällige Kontenbewegungen. Da sein Vorgesetzter dies stillschweigend überging, wandte er sich an einen Enthüllungsjournalisten. Sie suchten einen Finanzspezialisten und kontaktieren Imad Lahoud, einen Informanten des Geheimdienstes und Schwiegersohn eines Chirac-Freundes. Statt jedoch bei der Recherche zu helfen und das Computersystem zu "hacken" gab Lahoud die Liste weiter an seinen Führungsoffizier, einen Vizepräsidenten von EADS und Duzfreund von Villepin. Als der damalige Premier die Liste erhielt, war sie angeblich schon "angewachsen."
Der frühere Premierminister schritt erhobenen Hauptes, begleitet von seiner Gattin und seinen drei Kindern, vor das Tribunal. Zunächst empörte er sich noch vor der versammelten Weltpresse über den Präsidenten als Nebenkläger. Dadurch sei kein faires Verfahren möglich. Doch er gab sich siegesgewiss: "Meine Unschuld wird bewiesen, ich werde das Gericht frei verlassen." Sollte ihm das gelingen, hat Sarkozy 2012 immerhin einen ernstzunehmenden Rivalen. Andernfalls drohen dem früheren Premierminister bis zu fünf Jahre Gefängnis und eine hohe Geldstrafe sowie das endgültige politische Aus.

Dienstag, 22. September 2009

Rabiater Einsatz gegen Flüchtlinge

Sie marschierten am frühen Morgen auf. 500 Sicherheitspolizisten umstellten den sogenannten Dschungel, ein Flüchtlingslager bei Calais, kreisten die Bewohner um ein Feuer ein, schleppten sie aus ihren Hütten. 278 Menschen lebten zuletzt in den notdürftig zusammengezimmerten Hütten und warteten auf eine Gelegenheit, nach Großbritannien auszureisen. Immer wieder versuchen die Flüchtlinge, sich auf einen Lastwagen, auf eine Fähre zu schmuggeln oder durch den Eurotunnel zu laufen.
Die Bewohner des Dschungel haben schon abenteuerliche Fluchten aus Afghanistan, Pakistan oder dem Irak hinter sich, fast die Hälfte sind Kinder oder Jugendliche. Sie werden nun in Heime überstellt, die Erwachsenen festgenommen. Auch die 30 Unterstützer, die eine Menschenkette bildeten, konnten das nicht verhindern. Die Flüchtlinge können zwar Asylanträge stellen. In den meisten Fällen werden sie jedoch auf das EU-Land verwiesen, in das sie zuerst eingereist sind. Auch eine "Beihilfe zur freiwilligen Rückkehr in ihr Land" bietet ihnen die Verwaltung von Calais an.
Der Einwanderungsminister Eric Besson begründete die Räumung mit dem "Vorgehen gegen Schlepperbanden" und dem "Kampf gegen die Kriminalität". Die Menschenrechtsgruppen kritisieren allerdings, dass die Flüchtlinge jetzt noch stärker auf die Dienste von Schleppern angewiesen sind. Die Zerstörung des Lagers verlagere das Problem nur. Entstanden war der Dschungel nach der Zerstörung des offiziellen Durchgangslagers Sangatte 2002 auf Anweisung von Nicolas Sarkozy, der damals Innenminister war. So wie damals rückten jetzt im Dschungel die Bulldozer an und machten die Behausungen dem Erdboden gleich, so als sei das Problem dadurch zu lösen.
Fernsehbericht über die Festnahme

Montag, 21. September 2009

Kleine Riesin überwindet die Mauer - Französisches Straßentheater in Berlin

Die Hauptdarstellerin des Spektakels misst fast acht Meter und bringt 750 Kilo auf die Wage. Unter ihrem grünen Kleid versteckt sich ein Feldhäckseler als Fortbewegungsmittel, das sie durch die Straßen von Berlin rollt. Vom ersten bis zum vierten Oktober durchstreift die Kleine Riesin Berlin. Dann macht die französische Straßentheatercompagnie Royal de Luxe die Straßen der Hauptstadt zur Bühne für ein viertägiges Schauspiel. Die Inszenierung ist der kulturelle Höhepunkt der Feierlichkeiten zum Jubiläum des Mauerfalls. Und natürlich geht es auch in dem Stück "Die kleine Riesin, die Mauer und der Tiefseetaucher" um das historische Ereignis.
Jean-Luc Courcoult, der Chef der Compagnie, hat ein Märchen für Berlin geschrieben. Vor langer langer Zeit bevölkerten noch Riesen die Gegend, bis Tiefseeungeheuer die Stadt entzweirissen. Und auch die kleine Riesin verlor sich auf den Weltmeeren, doch als die Mauern einstürzen, macht sie sich auf den Weg und sucht ihren Onkel, den großen Riesen.

Am zweiten Oktober macht sich die kleine Riesin am  Morgen vom Rathaus aus auf den Weg durch die Stadt. Am Humboldthafen entsteigt ein noch größerer Koloss der Spree: der 15 Meter große Tiefseetaucher, der Onkel der kleinen Riesin. Beide irren durch die Stadt bis die Suche ein glückliches Ende nimmt. In den vergangenen Jahren waren die beiden Giganten schon in London und Santiago de Chile im Einsatz und begeisterten die Massen. "Ich habe immer diesselben Darsteller, die ein jeweils eigenes Stück spielen", erklärt der Chef der Truppe.
Zwei bis drei Jahre dauert die Realisierung eines solchen Straßentheaters. Derzeit setzt die Compagnie die beiden Schauspieler in einem Hangar des Flughafens Tempelhof aus ihren Einzelteilen zusammen.
In Frankreich ist die Straßentheatergruppe längst eine Legende. 1978 hatte Courcoult sie mit Freunden in Aix-en-Provence gegründet, zog einige Jahre durch den Süden und 1989 durch Nantes. Ein Jahr später eröffneten sie das Theaterfestival von Avignon mit ihrer "wahren Geschichte Frankreichs". Auch dieses Stück war bereits auf dem Schlossplatz zu Gast. Im vergangenen Jahr hatten die Künstler in den Schaufenstern des KaDeWe die Revolte der Mannequins inszeniert.

Fotos: Albrecht Gruess

Mittwoch, 16. September 2009

Assia Djebar in Berlin

(Foto: Assia Djebar mit ihrer Dolmetscherin im Hau der Kulturen der Welt)

Die Veranstalter wurden allmählich unruhig. Wenige Minuten vor dem Beginn der Lesung im Haus der Kulturen der Welt fehlte die Hauptperson, Assia Djebar. Da zeigte jemand auf eine kleine Dame, deren Locken wild unter einem roten Hut hervorquollen, in der ersten Reihe im Publikum. Ganz bescheiden hatte die berühmte Schriftstellerin Platz genommen und wartete geduldig auf den Beginn des Gesprächs mit den beiden Schriftstellern Terézia Mora und Navid Kermani.
In deren literarischem Salon plaudern Kollegen über Leben und Werk und können auch Musik mitbringen.
Assia Djebar wollte ihre Lesung mit der Musik von der algerischen Sängerin und und Schriftstellerin Taos Amrouche einleiten, die sie als eine ihrer bedeutendsten Vorgängerinnen in der algerischen Kulturszene betrachtet und auch um ihren Erfolg kämpfen musste. So hatte ihr Bruder, der gleichzeitig ihr Verleger war, ihren Roman nach dem Druck in einer Besenkammer versteckt, um ihn nicht in die Büchereien ausliefern zu müssen. "Die Väter, die Brüder oder die Cousins, die können mit dem Erfolg der Frauen oft nicht umgehen", empört sich die Schriftstellerin, die darin eine Parallele zu ihren eigenen schmerzlichen Erfahrungen mit den Männern in ihrem Heimatland sieht, die sie in vielen ihrer Bücher beschreibt.
Der Titel ihres neuesten Romans "Nirgendwo im Haus meines Vaters" bezieht sich auf einen Ausspruch von Fatma, der Tochter des Propheten Mohammed, die mit diesen Worten ihre Enterbung beklagte. Auch Assia Djebar wurde von ihrem Bruder enterbt und "kann ihn noch heute nicht ansehen, da sie ihm sonst ins Gesicht spucken müsste." Es schmerzt sie, die ihren Vater liebte, kein Haus mehr in ihrem Land zu haben. Andererseits ist sie dankbar für die "Klarheit", die sie dadurch gewann.
In ihrem Land, so erzählt sie, wäre sie schon als 17-Jährige beinah gestorben. In einem Akt der Verzweiflung hatte sie sich nach einer Anmaßung ihres Verlobten auf die Straßenbahnschienen gelegt. Und hätte nicht der Fahrer, ein Europäer, mit ganzer Kraft die Bremse gezogen, hätte sie nicht überlebt. Diese Szene erzählt sie in ihrem aktuellem Roman, in dem sie sich in ihre frühe Kindheit begibt. Es ist der erste von drei geplanten autobiographischen Bänden, eine Art "Selbsttherapie". Vieles, was sie jahrelang verdrängt hatte, spülte der Schreibprozess schmerzhaft an die Oberfläche.
Ganz besonders hat sich die Szene mit dem Fahrrad als ein Trauma in ihr Unterbewusstsein eingebrannt. Mit vier oder fünf Jahren brachte ihr ein kleiner französischer Nachbarsjunge das Fahrradfahren bei. Ihr Vater ruft sie jedoch in die Wohnung und maßregelt sie, er wolle nicht, dass sie ihre Beine vorzeige. Das Mädchen begreift zwar den Vorwurf nicht, entwickelt jedoch auch wegen des Schweigens der Mutter Schuldgefühle. Das Fahradverbot wird zu einem Trauma, das sie noch Jahrzehnte nach dem Tod des Vaters daran hindert, das Zweiradfahren zu lernen.
Ihre Kindheit in einem kleinen algerischen Dorf war dennoch überwiegend glücklich, wenn auch voller Widersprüche zwischen dem mondänen städtischen Lebensstil der Mutter, die aus einer aristokratischen Familie stammte und der Religiosität des Vaters, eines Lehrers. Der förderte jedoch seine Tochter, schickte sie auf die französische Schule und später als erste algerische Frau auf eine französische Eliteuniversität. Das nicht Fahrrad fahrende Mädchen von einst ist heute die berühmteste Schriftstellerin Algeriens, die auf arabisch betet und auf französisch schreibt. 2005 wurde sie als drittes weibliches Mitglied in die Akademie francaise aufgenommen.
Wenn sie ihre Texte liest, dann fliegen die Gedanken ihrer Zuhörerer mit ihr auf dem Fahrrad durch die algerische Wüste, schweifen an der Dorfstraße entlang zum Hamam, verweilen in dem Hof ihres Wohnhauses und erstarren im Angesicht der herrannahenden Eisenbahn. Die Kraft der Worte, der Rhytmus der Sprache, das sind ihre Waffen im Kampf für die Rechte der Frauen. Die Waffen einer ungewöhnlichen Frau.

Dienstag, 15. September 2009

Der falsche "Helmüt" - Barocker deutscher Elektrodandy in Paris

Seit elf Jahren bringt Helmut Fritz in Paris nun das Erbe seines Großonkels durch. Doch nun ist er nur noch"genervt". Alles ist so langweilig. Zu viel Champagner, nur dünne Mädchen, die sich in Jeansgröße 34 zwängen und das Pony wie Kate Moss tragen. Diese widerlichen Türsteher in den Clubs der "Jeunesse dorée". All das hat er so satt und besingt es mit seinem sehr deutschen Akzent im Sommerhit "Ca m´énerve". In seinem kitschig barockem Sessel unter einem opulentem Kronleuchter trinkt er mit goldenen Morgenmantel mit abgespreiztem kleinen Finger einen Mokka und wettert über die Langeweile des Dandylebens in Paris.
Laut seiner "Biografritz" stammt er aus dem kleinen Örtchen Reinbek in der Nähe von Hamburg, wo seiner Familie eine kleine Pulloverfabrik gehörte. Als sein Großonkel bei einem Jagdunfall ums Leben kam, erbte Helmut 300 Millionen DM. Er kaufte sich eine Vespa und zog nach Paris. In seinem Heimatort erinnert laut "Helmut" nur noch eine nach ihm benannte Brezelsorte an seine Kindheit. So weit jedenfalls die Legende, die in Frankreich auch geglaubt wurde. Der Akzent wirkt jedenfalls so echt, dass er jedem Phonetiklehrer die Tränen in die Augen treiben würde.
Findige Reporter hefteten sich allerdings an Helmuts Fersen und entdeckten, dass er vor 34 Jahren als Eric Greff in Lothringen geboren wurde und aus der Ortschaft Béning-les-Saint-Avold stammt. Nachdem frühere Versuche als Sänger nicht gerade von Erfolg gekrönt waren, verlegte er sich auf das Singen mit Deutschem Akzent. Seinen Stil und die Aussprache, so verriet er in einem Interview, hat er bei Karl Lagerfeld abgeschaut. Den Hit komponierte Laurent Konrad, der als Autor von Discobitch bekannt wurde. Der falsche Helmüt kommt in Frankreich überraschend gut an. Sony hat seine erste CD herausgegeben. Nach "Ca m´énerve" kam auch sein Lied "Miss France" in die Charts, in dem er die Misskandidatinnen aufs Korn nimmt. Die ehemalige Miss, Geneviève de Fontenay empörte sich, dass er doch lieber die "Miss Deutschland" besingen solle. Allerdings dürften Helmuts Deutschkenntnisse eher bescheiden sein.

Mittwoch, 9. September 2009

Zwerge verzweifelt gesucht

Ganz dynamisch sollte der Präsident Nicolas Sarkozy seine Rückkehr an den Schreibtisch demonstrieren. Im August musste er wegen eines Schwächeanfalls ins Krankenhaus, bei der Inszenierung seiner "rentrée" sollte daher nichts dem Zufall überlassen bleiben. So umrahmten die Arbeiter des Automobilzulieferers Faurecia in der Normandie den Politiker sehr dekorativ. Merkwürdig schien allerdings, dass Monsieur S. sämtliche Anwesenden überragte.
Einem Reporter des belgischen Fernsehens fiel das auf und er fragte nach. Dem Präsidentenbesuch war ein Casting vorausgegangen. Viele Arbeiter aus anderen Faurecia-Standorten reisten an. Voraussetzung für den Einsatz war vor allem die Körpergröße unter 1,68. Eine Arbeiterin bestätigt dies. Wer das Casting veranstaltet hat, ist derzeit ungeklärt. Der Elysée-Palast wies dies jedenfalls als "grotesk" zurück.
Doch wenn man an das Wegretuschieren seiner Speckfalten im Paris Match denkt oder an die Entlassung des Chefredakteurs dieses Klatschmagazins wegen eines Berichtes über Cecilias Neuen, passt das Casting jedenfalls ins Bild.
Der Bericht über den Besuch und das Casting

Freitag, 4. September 2009

Operation am offenen Herzen von Paris

Fast jeder Parisbesucher kennt das Betonmonstrum im Herzen der Stadt. Vor genau 30 Jahren wurde das "Forum des halles" eröffnet. Tausende Menschen eilen täglich zu verschiedenen Metrolinien und den Vorortzügen, die sich unterirdisch kreuzen. Außerdem locken das Kulturkaufhaus FNAC, 160 Geschäfte, Restaurants und das größte Kino Europas in den Untergrund.
Doch das Bauwerk aus den 70er Jahren war von Anfang an umstritten und soll in den kommenden Jahren durch einen futuristischen Neubau ersetzt werden.
Einige Bögen in der Grünanlage des Forums sind die letzten Spuren einer langen und wechselvollen Geschichte des alten Marktes. Dessen erste Stände wurden schon 1137 aufgestellt, später entstanden prachtvolle historische Hallen mit schmiedeisernen Säulen. Im "Bauch von Paris" beschrieb Emile Zola das lebendige Marktreiben von einst. Nur in Nogent-sur-Marne ist noch eines dieser historischen Gebäude zu besichtigen.
Obwohl viele Anwohner gegen den Abriss der historischen Bausubstanz protestierten, rückten in den 70er Jahren die Abrissbirnen an. George Pompidou ließ sich das Kulturzentrum als Präsidentendenkmal setzen. 1977 begann der Bau des Forum. Jacques Chirac weihte es dann 1979 ein, sechs Jahre später wurden der unterirdische Teil und die Grünanlagen vollendet. Das Forum empfängt jährlich 41 Millionen Besucher - vier Mal soviele wie der Großraum Paris Einwohner hat. 3000 Menschen arbeiten in den fünf Etagen, die Umsätze der Geschäfte liegen bei 475 Millionen Euro.
Dennoch muss das Betonmonster weichen. 2013 soll der Bau eines neuen futuristischen Einkaufszentrums beginnen und drei Jahre später abgeschlossen sein. 760 Millionen Euro soll das neue Forum, das den Namen "canopée" (Blätterdach) trägt kosten. Die beiden Architekten Patrick Berger und Jacques Anziutti wollen dem Dach eine organische Form geben. Die Entwürfe sind vielversprechend. Wahrscheinlich wird dem heutigen Geburtstagskind niemand nachtrauern.

Frankreich arbeitet an seiner Vergangenheitsbewältigung

Ein lesenswerter Artikel erschien heute in der Süddeutschen. Es geht um die "Vorauseilende Kollaboration" der Vichy-Regierung bei der Verfolgung jüdischer Franzosen. 76 000 von ihnen wurden deportiert, darunter viele Kinder. Nur 2500 kehrten aus den Todeslagern zurück.
http://www.sueddeutsche.de/w5Z384/3034226/Vorauseilende-Kollaboration.html

Dienstag, 1. September 2009

C´est la rentrée!

Das Großereignis kündigt sich schon seit Wochen an: La rentrée. Der Tag der Rückkehr aus dem Urlaub ist in Frankreich fast noch wichtiger als der Neujahrstag. Es ist der Tag des Neubeginns - nicht nur in der Schule, sondern auch am Arbeitsplatz und an der Uni. Große Werbeanzeigen, Ratgeberartikel in den Frauenzeitschriften für die "gestylte oder die ökologische Rückkehr" und überbordende Buchregale und Auslagen in den Schreibwarenläden und Supermärkten erwarten die Heimkehrerer.
Gestresste Eltern füllen ihre Einkaufskörbe nicht nur mit Heften, Füllern und den neuesten Nachschlagewerken (Pünktlich stehen die neuesten Ausgaben von Le Robert und Larousse in den Läden) für den Nachwuchs. Im Durchschnitt kostete die Neuausstattung nach Zahlen des Verbands "familles de France" 174,23 Euro. Auch ein neuer "Look", so rät zumindest 20 Minutes, sollte den Neustart begleiten. Der eigentliche Tag X für rund zwölf Millionen Schüler findet am 2. September statt.
Im Oktober sind die Studenten dran, denen le Figaro rät, schon einmal das Scheckheft zu zücken. Denn für Einschreibung, Kaution, Makler und Studienmaterial werden in Paris 3054 Euro fällig, für Studierende in der Provinz fast 2500 Euro. Auch die monatlichen Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Rund 1200 Euro monatlich kostet das Studieren in Paris.
Doch la rentrée beschränkt sich nicht nur auf die Schulen und Universitäten. Wenn toute la France aus den Ferien kommt, kündigt sich auch la rentrée littéraire, culturelle, musicale, du cinéma etc. an. Friseure werben für einen neuen Schnitt. Die Warenhäuser preisen Kostüm und Anzug für die gestylte Rückkehr an den Arbeitsplatz an. Die Arbeitgeber erhoffen ein bisschen Frieden. (Le Figaro: La rentrée apaisée). Langsam beginnt wieder der Alltag in den Schulen, Unternehmen und in der Politik. Kleine Ausflüchte versprechen nur die Tipps für "La rentrée choc" von Le Figaro. Die entführen zum eleganten gôuter (dem Nachmittagsimbiss) ins Fünfsternehotel Parc Hyatt an der Place Vendôme. Wenn das Budget es noch zulässt, kann man sich dort mit edler Patisserie die schwierigen ersten Tage versüßen.
Teures Studentenleben