Sonntag, 28. Februar 2010

Das Wort zum Sonntag: Lautmalerei - Onomatopée

Lautmalereien geben durch ihre Tonfolgen bestimmte Geräusche wieder oder drücken Empfindungen wie Erschrecken, Erstaunen oder Schmerz aus. Wer einmal Comics oder Zeichentrickfilme übersetzt hat, stellt fest, dass die verwendeten Laute von Sprache zu Sprache ganz unterschiedlich ausfallen. Im Kurs für Comicübersetzen an der Humboldt-Universität entstand eine sehr hilfreiche Liste der Onomatopées.
So schreit das französische Kind Aie, das deutsche Au oder Aua. Südlich des Rheins gibt "Atchoum" das Geräusch des Niesens wieder, nördlich Hatschi. Wenn Asterix selig schlummert, zeigt sich ein ZZZZZ in seiner Sprechblase, auf deutsch ein "Schnorr". Der Gangster lässt mit seiner Pistole auf Deutsch ein "Peng, Peng" erklingen, auf Französisch ein "Pan, Pan". Die hilfreichen Rettungskräfte nahen mit französischem "PinPon" oder mit deutschem "Tatü". Selbst die Polizeihunde würden sich wohl nicht sofort verstehen, wenn sie lautmalerisch bellen würden - auf Französisch "Ouah, Ouah" statt "Wau, Wau". Und wenn die Deutschen das "Cocorico" des französischen Gockels hören würden, statt des Weckrufes Kikeriki, würden sie sich wohl nochmal im Bett umdrehen. Selbst die Ostsee klingt anders, als das Mittelmeer. "Splatsch" fällt der Stein im Norden ins Wasser, auf französisch klingt er "Plouf". Da bleibt nur ein erschöpftes "OUF". Comicübersetzen kann man übrigens lernen. Der Dozent Xavier Bihan lehrt Comicübersetzen und Filmübersetzen am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität Berlin im Sommersemester 2010. Möglicherweise werden beide Kurse letztmalig angeboten, da die Übersetzerausbildung dem Rotstift geopfert wurde.

Donnerstag, 25. Februar 2010

Florence Aubenas - die französische Wallraff

Die Auslandskorrespondentin Florence Aubenas ist auch in Deutschland nicht unbekannt, denn sie wurde mehrere Monate lang als Geisel im Irak festgehalten. Nach ihrer Rückkehr war sie nun als französische "Wallraff" unterwegs. Unter ihrem richtigen Namen, mit gefärbten Haaren und Brille verdingte sie sich in Caen als Putzfrau. In ihrem Buch "Le Quai de Quistreham" beschreibt sie ihre Erfahrungen "ganz unten". Wie sie robbend die Toiletten auf der Fähre nach England reinigt, jede in gerade einmal drei Minuten, um die Arbeit während der kurzen Überfahrt zu schaffen. Diese ekelerregende Arbeit ist Frauen vorbehalten. "Innerhalb einer Viertelstunde sind meine Knie auf das doppelte angeschwollen, ich spüre Ameisen im Arm", schreibt sie über die Arbeit, die einzige, die es für eine Frau in den Vierzigern ohne Qualifikation gab. Aufschlussreich sind auch die Erlebnisse im Arbeitsamt, wo die Berater denjenigen, die jede Arbeit annehmen müssen ganz offen ihre Verachtung und ihren Zynismus spüren lassen. Doch auch unter den Angestellten gibt es eine Hierarchie, bei der die Putzfrauen ganz unten stehen. Ganz zufällig lässt der Kollege die Kaffeetasse fallen, trampelt über frischgereinigte Flure. All das für einen Lohn von weniger als 700 Euro im Monat. Die Journalistin ist mittlerweile in ihren wirklichen Beruf zurück gekehrt und hat ein packendes Reportagebuch über das Leben des französischen Prekariats verfasst.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Ministerium löscht schwarze Liste der Arbeitgeber

Etwa 24 Stunden lang war die Liste der schlechtesten Arbeitgeber Frankreichs auf der Internetseite des Ministeriums für Arbeit zu sehen. Dann verschwand sie heimlich, still und leise - der Minister hat schließlich den Kotau vor den Unternehmen gemacht.
1500 Großunternehmen waren nach der Suizidserie bei France Télécom verpflichtet worden, Maßnahmen gegen den Stress bei der Arbeit in die Wege zu leiten. Nur ein Drittel der Konzerne hat das mittlerweile getan, diese sind auf der grünen Liste des Arbeitsministers aufgeführt. Nicht mehr zu sehen sind die Unternehmen mit der Warnstufe rot (beispielsweise Picard, DHL, Goodyear, Procter&Gamble) oder orange (France Télécom). Rot wurde die Betriebe eingestuft, die weder die Abstimmung mit den Gewerkschaften verbessert haben, noch Sorgentelefone einrichteten. Im vergangenen Jahr hatten sich allein bei France Télécom 35 Mitarbeiter das Leben genommen, auch bei Renault häuften sich Suizide.
Fortsetzung vom 26.2. Schon wieder hat sich eine Angestellte von France Télécom in Lens das Leben genommen. Sie war im Kundendienst von Orange eingesetzt und musste wegen der Restrukturierungsmaßnahmen mehrfach den Beruf wechseln. "France Télécom ist nicht der einzige Verursacher des Suizids, doch sie haben ihren Anteil", sagte ein Gewerkschafter. Auch ein Fragebogen über Probleme am Arbeitsplatz hat das Klima beim ehemaligen Monopolisten nicht verbessert. Die traurige Serie hat sich auch 2010 fortgesetzt. Seit Januar sind haben bereits acht Mitarbeiter ihrem Leben ein Ende gesetzt.

Sonntag, 21. Februar 2010

Das Wort zum Sonntag: Le canard

Diese Geschichte könnte aus einem Hollywood-Film stammen. Am vergangenen Wochenende kollidierte ein Hubschrauber im Drôme-Gebirge mit einem Baum. Durch einen waghalsigen Sprung retteten sich der Pilot und die 73!-Jährige Passagierin, berichteten viele Zeitungen, darunter Libération. Da hatten sie allerdings einen "canard" gelandet, stellte sich heraus. "Le canard" ist die "Zeitungsente", also eine Falschmeldung. "Fausse nouvelle lancée dans la presse" schreibt Le Petit Robert.
Solche Enten watscheln meist dann, wenn Journalisten nicht ausreichend recherchieren. In diesem Fall hatte ein Feuerwehrmann die abenteuerliche Version der Ereignisse an die Presse gemeldet, nachdem der Pilot im Schock berichtete, er sei "herausgesprungen". Er sprang aber aus dem schon im Schnee notgelandeten Helikopter und holte Hilfe. Im Nachhinein stellte sich auch heraus, dass die Passagierin noch nicht so betagt war. Fehlleistungen wie diese brachten dem "canard" noch eine weitere Bedeutung, im Französischen nennt man eine Zeitung abwertend "Canard." Selbstironisch hat die Wochenzeitung "Le canard enchainé" den Begriff als Namen gewählt. In diesem Fall ist jedoch Nomen nicht Omen. Das Blatt gehört zu den wenigen kritischen Medien und veröffentlicht regelmäßig gut recherchierte Enthüllungsgeschichten.

Freitag, 19. Februar 2010

Nacktscanner: Ab Montag blicken die Kontrolleure unter die Haut

Wer ab Montag von Paris aus das Flugzeug nimmt, kann bis auf die Knochen durchleuchtet werden. Unter dem harmlos klingenden Namen "loppsi II" schnürte die französische Regierung ein Gesetzespaket, das die innere Sicherheit gewährleisten soll. Beschlossen wurde auch der Körperscanner.
Eine Wissenschaftler-Kommission hatte Bedenken gegen den Eingriff in die Intimsphäre angemeldet. Denn die aktuelle Technik erlaubt es, die Passagiere tatsächlich in allen Einzelheiten zu mustern. Eine Speicherung der Daten und deren Übertragung könnte zu einem Missbrauch privatester Informationen führen. Noch sind keine Lösungen für diese Probleme in Sicht. Vorerst soll die Passage am Apparat freiwillig erfolgen.

Sonntag, 14. Februar 2010

Das Wort zum Sonntag: Warum rufen sich die Franzosen nichts zu?

Es war der Horror in einer Prüfung. Da bekam ich tatsächlich einen deutschen Text, in dem ein Lokalpolitiker den Besuchern in einem Bierzelt etwas "zuruft". Und das Ganze sollte ohne Wörterbuch flott ins Französische übersetzt werden. Die Suche begann: in welcher grauen Zelle hatte sich nur das französische Pendant für "zurufen" versteckt? Ich war überzeugt: "Das Wort muss es geben, es fällt mir nur nicht ein". Doch nach der Prüfung ergab der Blick ins Wörterbuch: Non! Auf Französisch ruft man sich nichts zu. Zwar schlägt das Langenscheidt-Wörterbuch vor "crier", doch das kommt eher dem deutschen Schreien oder Brüllen nah. (Passt ja auch zum Bierzelt, aber was tut man in Norddeutschland?)
Wenn man das Verb "zurufen" übersetzt oder dolmetscht, dann gibt es verschiedene Varianten. So kommt in vielen Fällen "lancer" in Frage. In einem aktuellen Artikel aus der Zeit über die Nobelpreisrede von Barack Obama kam beispielsweise folgender Satz vor: "The glory is yours", ruft ihm der norwegische König Harald V. im Rathaus von Oslo zu....Die naheliegendste Übersetzung wäre: "The glory is yours" lui lance le roi de Norvège Harald V à l´hôtel de ville à Oslo. Alternativ könnte in dem Fall auch "s´exclamer" eingesetzt werden: .."s´exclame le roi Harald V en se tournant vers Barack Obama.
Je nach Situation könnten annoncer oder dire verwendet werden. Auch wenn die Lautstärke dann eigentlich nicht ganz dem Zurufen entspricht. Warum das so ist? Das konnte noch kein Muttersprachler beantworten? Vielleicht finden die Franzosen das Zurufen eher unhöflich. Und wenn man denn unhöflich ist, dann schreit oder brüllt man eben. Aber das ist nur eine unwissenschaftliche Vermutung. Vielleicht wissen die Leser mehr.
Merci à Bernadette, Camille et Marina pour l´inspiration!

Samstag, 13. Februar 2010

Baguette, Bordeaux-Wein, Baskenmütze - Identität verzweifelt gesucht


Den bisher besten Vorschlag für die französische Identitätssuche machte in dieser Woche die Süddeutsche Zeitung: "Man nehme Baguette und Baskenmütze, gebe Camembert und Café au lait dazu, würze mit reichlich Napoléon-Mythos sowie ein bisschen Edith-Piaf-Kult, gieße das Ganze zu den Klängen der Marseillaise mit Champagner auf - und heraus kommt Frankreich", schrieb Stefan Ulrich. Ein treffender Kommentar zu der bizarr anmutenden Diskussion. Sie erscheint wie ein Aufguss der ebenso unsäglichen Debatte über die deutsche Leitkultur, die im Wahlkampf von den deutschen Konservativen (CDU) angestoßen wurde.
Auch in Frankreich stehen die Regionalwahlen bevor. Die konservative UMP, die Partei des Präsidenten Nicolas Sarkozy erwartet einen Dämpfer. Dessen Halbzeitbilanz fällt eher durchwachsen aus. Als selbsternannter "Präsident der Kaufkraft" hat er auf ganzer Linie versagt. Wichtige Vorhaben, wie die Ökosteuer scheiterten am Votum des Verfassunggerichtes. Auch der Versuch, seinem Sohn Jean einen wichtigen Posten zuzuschanzen und die Rolle beim Clearstream-Prozess ließen seine Umfragewerte rapide sinken. (Hier eine Bilanz der Friedrich-Ebert-Stiftung zur ersten Hälfte seiner Amtszeit:  "Halbzeitblues"  .
So bliesen die Parteistrategen zur Gegenoffensive. Seit dem Herbst laufen in allen Départements Diskussionen über die nationale Identität, auf einer Internetseite wurde intensiv diskutiert. Einige der Beiträge lassen vermuten, dass die Partei das rechte Randspektrum mobilisieren könnte.
Als Ergebnis der Diskussionen sollen nun einige Rituale eingeführt werden, die doch sehr an ostdeutsche Fahnenappelle erinnern. So soll die französische Fahne an den Schulen wehen und die Charta der Menschenrechte in den Klassenzimmern aufgehängt werden. Einmal jährlich soll die Marseillaise gesungen werden. Schüler erhalten einen Ausweis für junge Bürger, um als "Staatsbürger" geschult zu werden. Die DDR lässt grüßen! Begeisterte Staatsbürger hat die dortige Staatsbürgerkunde nämlich kaum hervor gebracht.
Die Mehrheit der Franzosen lässt die kollektive Sinnsuche ihrer Politiker ohnehin völlig gleichgültig. Eine TNS Sofres Umfrag ergab, dass sie die "Sprache, Kultur, Meinungsfreiheit, Geschichte und Gleichberechtigung" als wichtigste Bestandteile des französischen Wesens sehen.
Foto: Rainer Sturm/pixelio

Sonntag, 7. Februar 2010

Das Wort zum Sonntag: demi-connaissances

Der im vergangenen Jahr mit 101 Jahren verstorbene Anthropologe und Philosoph Claude Levi-Strauss gehörte einer aussterbenden Art an: dem des Universalgenies oder Universalgelehrten. (Il était un génie universel ou un savant universel). Weisheit (la sagesse) scheint in unserer schnelllebigen Zeit keine Konjunktur zu haben. Stattdessen bringt die Epoche einen Menschentypus hervor, der "irgendwas mit Medien" macht und über ein "solides Halbwissen" verfügt. Im Französischen ist oft von "demi-connaissances" die Rede. Das solide Halbwissen, eine ironische Betrachtung die zwei Gegensätze aufeinanderprallen lässt, ließe sich mit "demi-connaissances solides" übersetzen (Merci à Bernadette Desorbay pour cette solution!). Im Französischen ist außerdem oft die Rede von "demi-connaissances en toutes choses". Allerdings werden diese Begriffe im Deutschen häufiger verwendet, passend zur "Digitalen Bohème" die Milchkaffee schlürfend mit Laptop Berliner Cafés bevölkert und an einem Projekt arbeitet. Französische Korrespondenten und Arte berichteten über die "bohème numérique" de Berlin.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Deutschland und Frankreich: Annäherung in 80 Punkten


Ihr "Vive la France" sollte Angela Merkel  künftig vorher üben oder beim nächsten Versuch in Lautschrift auf einen Zettel notieren lassen. Jenseits der sprachlichen Fehlversuche hat der heutige deutsch-französische Ministerrat zahlreiche konkrete Projekte hervorgebracht. Insgesamt haben die beiden Regierungen 80 Maßnahmen verabschiedet. Beide Staaten wollen künftig im Bereich der Wirtschaft, der Finanzen, der Umwelt, der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik stärker kooperieren. Daneben zielt die "Agenda 2020" auf eine Annäherung der Zivilgesellschaften.
So soll es mehr Jugendaustausch geben. Das Erlernen der Sprachen wird schon im Kleinkindalter gefördert, die Schaffung binationaler Kindergärten soll verstärkt werden. Für die deutsch-französische Hochschule ist eine Verdopplung der Studentenzahlen geplant. Künftig können weitere Partner am deutsch-französischen Geschichtsbuch mitschreiben.
Gemeinsam wollen die Regierungschefs die Schaffung einer neuen Weltordnung und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte vertreten. Wenn Frankreich die Präsidentschaft der G8 und der G20-Staaten übernimmt, sollen gemeinsame Vorschläge in die Reformvorhaben einfließen. Gemeinsam denken die Politiker auch über die Konsequenzen des Scheiterns der Konferenz von Kopenhagen nach und die Vorschläge der Stiglitz-Kommission für ein nachhaltigeres Wachstum sowie eine neuen Bewertung von Wohlstand in Zeiten des Klimawandels. Im Kampf gegen Treibhausgase, wird unter anderem ein gemeinsamer Feldversuch mit Elektroautos in der Region zwischen Strasbourg, Mannheim und Stuttgart ins Leben gerufen. Außerdem sind deutsch-französische Solarprojekte in Vorbereitung. Konkretisiert wurde auch die Kooperation der Max-Planck-Gesellschaft mit dem französischen CNRS. Außenpolitisch unterstützt Frankreich die Bemühungen Deutschlands um einen Sitz im Weltsicherheitsrat der UNO.
Auf einen gemeinsamen deutsch-französischen Minister konnten sich die Politiker nicht einigen. Zuvor war bereits der Sozialist Jacques Lang für diese Position gehandelt worden. Doch stattdessen ist nun ein Pendelverkehr verschiedener Minister geplant.