Nachrichten aus Algerien schaffen es in Deutschland nur selten in die Medien. Noch immer gilt das wunderschöne nordafrikanische Land hierzulande vor allem als Stätte des Terrors, auch wenn die blutigen Jahre schon ein Jahrzehnt zurück liegen. Ansonsten kommt das Land höchstens als Lagerstätte für riesige Erdgasvorkommen in der öffentlichen Diskussion vor.
Das versucht der Berliner Kulturverein Yedd zu ändern. Die Initiatoren Christine und Reda Belakhdar organisieren Lesungen, Ausstellungen und Vorträge, die ein differenziertes Bild des Landes vermitteln. Der Journalist Hakim Amara, langjähriger Mitarbeiter der Tageszeitung El-Watan hat in einem Vortrag über die Lage der Medien in Algerien berichtet.
Als in Europa der Eiserne Vorhang fiel, setzte auch in Algerien eine Periode der Reformen ein. Der Präsident Chadli Bendjedid gilt als der "Gorbatschov" Nordafrikas. Er hatte nach sozialen Unruhen in der Folge der Ölkrise Reformen versprochen und auch eine Liberalisierung des Mediensektors. Der Präsident forderte gar die Journalisten auf, neue Zeitungen zu gründen. Am 23. Februar 1990 wurde die Meinungsfreiheit in der Verfassung verankert. Einen Monat später veröffentlichte die Regierung ein Rundschreiben, das erklärte, wie Journalisten eine eigene Zeitung gründen können. Die Regierung förderte die neuen Medien auch finanziell. Sie stellte kostenlos Räume zur Verfügung, Beihilfe für den Druck und die Finanzierung des Lohns der Journalisten für drei Jahre. Zuerst wurde Alger républicain neugegründet, das Blatt war 1956 nach einem Staatsstreich geschlossen worden. Auch El Watan, der Indépendant und Le Soir gehörten zu den ersten Neugründungen. In den nächsten Monaten reichten die Druckkapazitäten kaum noch aus, um all die neuen Blätter herzustellen. Einige verschwanden wieder vom Markt. Mittlerweile gibt es 329 Zeitungen, davon 79 Tageszeitungen. 39 davon erscheinen in französischer Sprache, 41 auf Arabisch.
Anfang der Neunziger Jahre blickten die Journalisten der Nachbarländer staunend auf ihre freien Kollegen in Algerien. Doch deren paradiesische Arbeitsbedingungen endeten 1992 nach den Wahlen. Diese wurden nach dem ersten Wahlgang gestoppt, da ein Sieg der islamistischen FIS drohte. Das Militär rief den Ausnahmezustand aus, der übrigens bis heute gilt und setzte 1992 den Mitbegründer der Befreiungsbewegung FLN Mohamed Boudiaf als Präsidenten ein. Wenige Monate später wurde er ausgerechnet durch einen seiner Bewacher, einen Eliteoffizier, ermordet. Mit dem konservativen Nachfolger Ali Kafi endet der Demokratisierungsprozess vorerst. Nur eine Zelle des Verteidigungsministeriums war berechtigt, die Presse zu informieren. Die Journalisten bekamen erneut viele Beschränkungen für ihre Berichterstattung auferlegt, die mit dem Ausnahmezustand begründet wurden.
Nach dem Beginn der Attentate Mitte der Neunziger Jahre gerieten die Journalisten zwischen die Fronten von Militär und Islamisten, viele starben durch Anschläge. Auch der Amtsantritt von Abdelaziz Bouteflika brachte kein Ende des Ausnahmezustands. Mittlerweile erhalten die Zeitungen zwar Werbeeinnahmen und nicht nur Staatsgelder, doch die meisten Anzeigen schalten Staatsunternehmen. Die wirtschaftliche Abnabelung hat somit kaum mehr Unabhängigkeit gebracht. Der aktuelle Präsident hatte die Politik der nationalen Versöhnung ausgerufen. Journalisten und Medien, die das in Frage stellen, müssen mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. An der Zeitung Le Matin hatte Bouteflika ein Exempel statuieren lassen. 2004 wurde der Direktor wegen angeblicher Steuerschulden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Mittlerweile hat die Redaktion die Zeitung im Internet neu gegründet. "Nach dieser Schließung haben alle anderen Medien ihre Position überdacht. Heute sind sie zu einer Art Selbstzensur übergegangen, man kann das als eingebetteten Journalismus im eigenen Land beschreiben", sagt Hakim Amara. Die Sicherheit im Land und die Jahre des Terrors sind Tabuthemen, zu denen höchstens zwischen den Zeilen zu lesen ist. Auch die Opposition ist weitgehend verstummt. Eine aktivere Rolle der Medien wäre wichtig für den Demokratisierungsprozess. Denn diese sind in Algerien, wo die Gewaltentrennung bislang kaum funktioniert, nicht die vierte, sondern die zweite Gewalt.
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